Long-/ Post-COVID
Long- und Post-COVID
Überschneidungen mit ME/ CFS? ME/ CFS nach COVID?
„Long- und Post- COVID” sind Begriffe für Symptome, die nach einer COVID-Erkrankung neu aufgetreten sind und nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome anhalten.
Das Krankheitsbild kann also aktuell vermutet werden, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung COVID eine bis dato nicht dagewesene Symptomatik auftritt.
Schwierigkeiten entstehen bei der verlässlichen Abgrenzung zum Post-Vakzin-Syndrom, wenn in den Monaten VOR der Erkrankung an COVID bereits eine oder mehrere Impfungen erfolgt sind.
Die Symptomatik von Long-/ Post-COVID lässt sich durch eine andere Erkrankung nicht ausreichend erklären.
Es zeigen sich Überlappungen zwischen den Symptomatiken von Long-COVID/ Post-COVID und Post-Vakzin-Syndrom. Aufgrund der Abfolgen von Impfungen und Erkrankungen und erneuten Impfungen und erneuten Erkrankungen ist eine Abgrenzung nicht immer einfach.
Für die Therapie ist diese Differenzierung jedoch erst im zweiten Schritt relevant.
Die Symptomatik kann im Verlauf teilweise oder ganz rückläufig werden oder es kann auch zu einem chronischen Krankheitsgeschehen kommen.
Die Erkrankung kann mit extremer Einschränkung der Lebensqualität einhergehen und führt oft zu langanhaltender Arbeitsunfähigkeit.
Die während der vergangenen 2 Jahre geprägten Begriffe „Long- und Post-Covid“ bezeichnen also ein schweres und komplexes Krankheitsbild, welches Herausforderungen mit sich bringt für Erkrankte, deren soziales und berufliches Umfeld sowie für Behandelnde.
Der Ursachen-Symptom-Komplex, der sich bei “Long- und Post-COVID” findet, tritt nicht ausschließlich nach der Erkrankung COVID auf, sondern ähnlich auch nach anderen viralen Erkrankungen. Begriffe hierfür sind „Postvirale Fatigue“, „ME/ CFS” (Myalgische Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue Syndrom).
„Postvirale Fatigue“ ist ein grundsätzlich passender, jedoch fast beschönigender und ein wenig verharmlosender Begriff für eine schwere Erkrankung, die eben nicht nur aus „ein wenig Müdigkeit“ besteht, wie viele die Bezeichnung auch heute noch interpretieren.
Die Erkrankung umfasst deutlich mehr als Fatigue.
Für das „Postvirale Fatigue Syndrom“ nach COVID haben sich die Begriffe „Long- und Post-COVID“ etabliert.
Die Bezeichnung „Long- Covid“ wurde etwa im Frühjahr 2020, insbesondere von den Betroffenen der Erkrankung selbst, geprägt, die ihrem schweren und belastenden Krankheitsbild, welches anfangs z.T. wenig Beachtung und Anerkennung erhielt, einen Namen gaben (vergleiche hierzu Calard, Perego et al. 2021).
Zwischenzeitlich wurden weitere Begriffe geprägt und Definitionen geschrieben, auch zur Differenzierung zwischen „Long-COVID” und „Post-COVID“, wobei „Long-COVID“ jene Symptomatik bezeichnet, die bis zu 12 Wochen nach der COVID-Erkrankung anhält, und „Post-COVID“ jene, die noch länger darüber hinaus geht.
Begleitende psychosomatische Phänomene der Erkrankung COVID selbst oder solche, die aus der stationären oder intensivstationären Behandlung oder aus bleibenden Organschädigungen resultieren, werden bisher nicht vom eigentlichen „Long-/ Post-COVID-Syndrom“ abgegrenzt (vergleiche hierzu auch Yong, Liu et al. 2021).
Mit welchen Symptomen haben wir es zu tun?
Ohne mit herkömmlichen Methoden nachweisbare Organschädigungen und auch ohne eine eigenständige psychische / psychosomatische Symptomatik, die über die natürlich nachvollziehbare Belastungsreaktion auf die eigentliche somatische Erkrankung und ihre Folgen hinausginge, zeigen „Long- / Post-COVID-Patienten/ innen“ u.a. insbesondere das klinische Bild eines „ME / CFS“.
Hierzu gehören u.a.:
- Gestörter / nicht erholsamer Schlaf, ggf. mit Tagesmüdigkeit und/ oder auch Somnolenz
- protrahierte geistige und körperliche Erschöpfbarkeit nach physischer Belastung und verlangsamte Erholung (> 24h), genannt „PENE“ („Postexertional Neuroimmune Exhaustion“) oder auch „PEM“ („Post Exertionelle Malaise“)
- Empfindungsstörungen: z. B. wie Brennen oder Kribbeln der Haut
- Verlust oder Veränderung des Geruchs- oder / und Geschmackssinn
- Kreislaufdysregulationen: u.a. orthostatische Intoleranz, Hyper- und Hypotension, POTS, Palpitationen, Herzrhythmusstörungen
- Atembeschwerden, Schwäche der Atemmuskulatur, Belastungsdyspnoe, Kurzatmigkeit auch ohne Belastung
- thorakale Engegefühle
- herabgesetzte Körpertemperatur
- vermehrtes Schwitzen
- subfebrile Temperaturen
- Kältegefühl / Kälte der Extremitäten
- Hitze- und Kälteintoleranz
- Neurokognitive Einschränkungen wie Verwirrung, Konzentrationseinschränkungen, gestörtes Kurzzeitgedächtnis, Dyslexie, Wortfindungs- und Koordinationsstörungen, „Brain fog“
- diffuse Schmerzen, neuropathische Schmerzen
- Muskelschmerzen
- Gelenk- und Sehnenbeschwerden
- Kopfschmerzen
- Halsschmerzen
- Lymphknotenschwellungen
- gesteigerte Infektanfälligkeit
- bei Erkrankungen verlangsamte Erholung
- Verdauungsstörungen/ abdominelle Beschwerden
- Harndrang, Pollakisurie, Nykturie
- neue oder verstärkte Unverträglichkeiten (bezogen auf Nahrungsmittel / Medikamente, Chemikalien, Duftstoffe)
Wie oft kommt Long-/ Post-COVID vor?
Die Häufigkeit des Krankheitsbildes ist bisher noch nicht abschließend untersucht. Schätzungen liegen zwischen 2 % und 30 % der ehemals an COVID-Erkrankten. Eine weite Spanne. Die Mehrzahl der bisherigen Erhebungen geben an, dass etwas 12-15% der an COVID Erkrankten ein Long-/ Post-COVID-Syndrom entwickeln.
Womit haben wir es pathophysiologisch zu tun?
Wie und bei wem genau es zu “Long – / Post – COVID” kommt, ist noch nicht bekannt, beziehungsweise:
Diese Fragen sind Gegenstand aktueller Forschung.
Es gibt Vermutungen und für diese gibt es z.T. (einzelne) Belege.
Doch sogenannte „evidenzbasierte Aussagen“ lassen sich aktuell dazu noch nicht treffen.
Zu möglicher Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie hat u.a. die AWMF bereits eine Leitlinie veröffentlicht.
Verschiedene Theorien sind:
Fehlgeleitete Reaktionen des Immunsystems, und in diesem Rahmen:
- Hyper- / Autoinflammation / Verschiebungen im zellulären und humoralen Immunstatus
- mit u.a. Autoantikörperbildung und Mastzellaktivierungssyndrom
- Neuroinflammation
- Endothelitis
- Gerinnungsstörung
- Viruspersistenz
- Reaktivierung vorbestehender Infektionserkrankungen wie EBV, Herpes simplex, Herpes zoster, Mykoplasmen
Es scheint, als hätten wir es mit einem multifaktoriellen Geschehen zu tun.
Einzelfallberichte weisen daraufhin, dass die Theorien in die richtige Richtung weisen, doch letztlich fehlen Ergebnisse aussagekräftiger, strukturierter Studien, um sie zu beweisen.
Wie lassen sich die Phänomene erklären?
Häufig findet sich klinisch eine Dysregulation des autonomen Nervensystems. Diese zeigt sich insbesondere mit Kreislaufdysregulationen und hier insbesondere mit Herzrasen und Blutdruckschwankungen.
Im Schellongtest oder im NASA-Lean-Test findet sich häufig ein POTS (Posturales Tachykardie Syndrom), ggf. kombiniert mit einer Blutdruckregulationsstörung, wobei diese sowohl hyper- als auch hypoton ausfallen kann.
Ursächlich für diese autonome Dysfunktion können u.a. Small Fiber Neuropathie, Mastzellaktivierungssyndrom, Neuroinflammation und agonistische Autoantikörper gegen GPCR (G-Protein-gekoppelte-Rezeptoren) sein.
Viele Long-/ Post-COVID-Patienten weisen ein Mastzellaktivierungssyndrom auf, z.T. in Kombination mit einer Histaminintoleranz. Die resultierenden Symptome sind vielfältig.
Wie kann therapeutisch vorgegangen werden?
Es gibt verschiedene Herangehensweisen an die Erkrankung. Wichtig erscheint, dass alle bisher bekannten Aspekte des komplexen Krankheitsbildes bedacht werden und die Therapie individuell auf die Symptomatik und Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt ist und regelmäßig mit diesen gemeinsam evaluiert und angepasst wird.
Eine Kombination verschiedener Behandlungsmethoden, individuell zusammengestellt, kann zu einer Besserung führen.
Sie finden Anregungen hierzu in unseren Leitfäden.
Besonders wichtig erscheint der Aspekt, dass therapeutische Aktivierungsmaßnahmen, die bei anderen Krankheitsbildern oft wünschenswert und förderlich sind, bei Long-/ Post-COVID bzw. ME/ CFS zu einem gegenteiligen Effekt, ja gar zu Verschlechterung und Chronifizierung führen können.
Pacing ist daher ein relevanter Bestandteil der Therapien, die wir anregen möchten.
Auf der Homepage der AWMF finden Sie auch die aktuelle offizielle Leitlinie zu diesem Erkrankungsbild.
Wohin können Betroffene sich wenden?
Erste Anlaufstelle ist die hausärztliche Praxis. Hier können relevante diagnostische und therapeutische Schritte eingeleitet werden.
Je nach Schwerpunkt der Symptomatik ist es möglich weitere Fachärzte hinzuzuziehen.
Auch kann die Vorstellung in einer Spezialambulanz für Long- / Post-COVID hilfreich sein.
Es gibt zahlreiche solcher Ambulanzen. Eine Zusammenstellung finden Sie u.a. bei “Long COVID Deutschland”.
Betroffene können sich an verschiedene Selbsthilfeorganisationen wenden, um sich gegenseitig zu unterstützen.